Blickschaden

„Ick heet Teedje Roggenkamp...”

Speeldeels erfolgreicher Saisonbeginn — Gutes Stück, gute Aufführung

 

Die „Schleswiger Speeldeel“ hatte bei der Auswahl ihres Premierenstückes für die Theater-Saison 1985/86 eine ausgesprochen glückliche Hand: „Blickschaden” von Hans Gnant ist ein ausgesprochen gutes, geschickt aufgebautes Stück: modern, spritzig, gegenwartsnah. Dabei kommen wichtige Zeitfragen vor: übertriebene Liebe zum Auto, Angst vor Autoritäts-Verlust, Generationskonflikte, Gesellschaftskritik, Extremismus — das alles aber nicht einfach addiert, sondern so geschickt ineinander verwoben, daß echte Spannung entsteht. Zum Ende des 2. Aktes z.B. sind die Probleme — einschließlich Mordverdacht — von allen Seiten so zusammengeschürzt, daß kein Mensch mehr einen Ausweg ahnt. Arthur Speck hat das Stück in ein überzeugendes Plattdeutsch gesetzt.

Werner Jungjohann konnte ein fast gefülltes Haus begrüßen, die große Anzahl von jugendlichen Besuchern fiel auf — vielleicht zog die Tatsache, daß zwei junge Spieler zum ersten Male auf der Bühne standen! Und es wurde ein großer Erfolg.

Schon das Bühnenbild von Helmut Utermann wurde mit herzlichem Beifall begrüßt, und als KaIli Walter auftrat, war der Funke sofort übergesprungen. Er beherrscht das ganze Geschehen, ohne jedoch die anderen Spieler an die Wand zu drücken — vielmehr animiert er sie, im gleichen Schwung mitzumachen. Das gelang bei dem Neuling Wulf Gröning sehr gut: nach kurzer Befangenheit und einer kleinen Einspielphase erledigte er sein Debüt mit großer Bravour, so daß sein Bernd Roggenkamp als lebendige, überzeugende und echte Figur auf der Bühne stand. Ein Gewinn für die Schleswiger Speeldeel!

Ebenfalls neu war Ute Coordts als “Babsy“ Cornelia Kranz: auch sie hatte einen guten Einstand. Ihr Platt ist echt, das Spiel weithin natürlich, die Ausdrucksmöglichkeiten werden noch wachsen. Recht gut schon der Kontrast zwischen ausgeflippter Aussteigerin und liebendem Mädchen!

Erika Larssen gab mit routiniertem Spiel die Hille Roggenkamp, die — mit modernem Haarschnitt — genauso um ihre Autorität bei der Familie besorgt ist wie ihr Mann. Im Verhalten ihrem Mann gegenüber und zu ihrer Schwester könnte sie noch mehr differieren — die schau- spielerischen Mittel dazu sind vorhanden. Oft rief sie mit ihrem „schnodderigen“ Mundwerk Lachen und Szenenapplaus hervor. Den Kröger Carsten Glüsing spielte Horst Seegebarth mit Geschick und Witz; vielleicht war er ein wenig zu „vornehm“, seine vorhandene Volkstümlichkeit könnte noch mehr zutage treten. Die tragende Rolle bringt das Geschehen stets dynamisch voran — gut dargestellt.

Den Autoschlosser Lüder Bloom, um den sich eigentlich alles dreht, spielt Peter Balzer mit flottem Mundwerk (nicht alles war klar verständlich). Er gibt den Hallodri genauso echt wie den reuigen Sünder, und nach seinem „Tod“ gönnt man ihm seine Gesine von Herzen, Diese, die Schwester Hilles, wird von Monika Stengel-Balzer gespielt, ebenfalls eine Charakterrolle. Recht überzeugend stellt sie die ehemals abgewiesene, jetzt kalt wirkende und doch liebende Frau dar — in ihrer Klageszene müßte sie noch deutlicher sprechen. Der Star ist und bleibt aber Kalli Walter, der in unnachahmlicher Weise den Teedje Roggenkamp spielt, der an seinem Verstande zweifeln muß und stets, um sich zu prüfen, den Text aufsagt „Ick heet Teedje Roggenkamp, bün Buer,,..“ Auch seine Betrunkenheitsszene war nie Klamauk, immer wahrte er die Grenze des echten Schwanks — eine in allem ausgezeichnete Leistung!

Werner Jungjohann hatte mit langer Leine Regie geführt — die Qualität des Stückes und die Fähigkeiten seiner Spieler waren ihm eine große Hilfe, so daß eine spritzige, flotte Inszenierung zustande kam. Heike Walter hatte „för Hoor- un Snutenwark“ gesorgt; den „Lüttkram“ (sehr wichtig!) besorgte Margret Bronsert, die Technik lag wie in bei Konrad Hansen in geschickten Händen, und Heike Walter war auch eine zuverlässige Toseggersch. Viel Beifall, unendlich viele Blumen und rundherum fröhliche Gesichter waren der erfreuliche Lohn für einen erfreulichen Abend.

Reimer Pohl
Schleswiger Nachrichten