Meister Anecker

Premiere bei der Speeldeel:

Meister Anecker blickt nicht durch

 

Gute Schauspielerleistung glich Schwächen des Stücks aus

„Plattdüütsch leevt mehr denn je! Von Jahr zu Jahr wird es deutlicher, daß die plattdeutsche Sprache, nach einem Tiefstand vor etwa 20 Jahren, wieder im Kommen ist. Das geht von den Autoaulklebern ,Wi snackt platt' bis hin zu den niederdeutschen Seminaren an der Kieler Universität und diese Entwicklung macht natürlich- und glücklicherweise  vor den Toren der Theater nicht halt. Wenn auch die Aufführung des plattdeutschen „Freischütz" in Neumünster mehr als Gag zu werten ist, so liegen hier doch die Wurzeln für eine niederdeutsche Kulturarbeit. Und die beiden plattdeutschen Bühnen Schleswigs erweisen sich stets aufs neue als Träger und Verfechter von niederdeutschem Kulturgut. Ihnen kommt dabei die Wechselwirkung zugute, die zwischen Bühne und Publikum besteht: Die Schauspieler vermitteln Bühnenwerte, und die Zuschauer haben Interesse am plattdeutschen Theater.

Die „Schleswiger Speeldeel" hatte am Sonntag zu ihrer diesjährigen Premiere eingeladen; „Meister Anecker" von August Lahn stand auf dem Programm. Das Stück, ist schwach;  mühsam quält sich der 3. Akt dahin. Als denkender Mensch fragte man sich manchmal: warum sagt man dem Meister nicht einmal, was los ist, dann wäre doch alles in Ordnung. Aber dann hätte es eben keinen dritten Akt gegeben. . .

„Meister Anecker" - der Titel ist bereits aussagekräftig. Meister ist er sicherlich, aber nur als Schuster (und Wolfgang Preuß verstand wirklich etwas vom Besohlen), ansonsten ist er wirklich einer, der ganz schön „aneckt". Das wußte Wolfgang Preuß trefflich darzustellen, den Ehemann, der sich gehörnt fühlt und nicht darauf kommt, daß sich die Sache durchaus anders verhält. Er konnte die verschiedensten Register des Ausdrucks ziehen, die Szenen des Zorns gegenüber seiner Frau und dem Bürgermeister hätten durchaus noch härter sein können. Der Umschwung am Schluß wirkte überzeugend. Kleinigkeit am Rande: Wolf gang Preuß hat einen freundlidi-lächelnden Gesichtsausdruck, der in den Wutszenen fehl am Platze scheint. Seine Frau Lene, von Waltraut Evers bestens dargestellt, kann in allem überzeugen. Die Hausfrau, die mütterliche Schwester, die zornige Ehefrau, die listige Schlange - alles ist bei Frau Evers in besten Händen. Hier spürte man auch so etwas wie eine souveräne Reife.

Ihre Schwester Elsbe wurde von Monika Stengel dargestellt. Sie hatte es etwas schwer, zumal sie sich erst freispielen mußte. Bei ihr traten die Kontraste zwischen dem verliebten Mädchen, das nicht weiß, ob es wiedergeliebt wird, und der resoluten jungen Frau zu scharf zutage. Weichere Übergänge wären angebrachter. Allerdings ist es ihr in weitem Maße zuzuschreiben, daß bei der Liebesszene keinerlei Peinlichkeit auftrat. Peter Balzer spielte den verliebten Bürgermeister, der sich den Weg zu seinem Objekt über die Frau Meisterin suchte. Zunächst wirkte er etwas übertrieben in seiner Begeisterung für Elsbe, fand dann aber schnell das richtige Maß. Sehr gut geriet die Szene, in der er Frau Lene seine Liebe zu Elsbe gesteht. Die Rolle ist bei ihm in guten Händen. Uwe Petersen als Oldgesell Matten schießt aber den Vogel ab. Diese innige Verbindung zwischen Naivität und listiger Schläue kann kaum jemand so wie er ausdrücken. Köstlich sein Spiel, umwerfend die Kabinettstückchen mit der Mütze und mit dem Fünf-Mark-Stück, mitreißend seine Alkohol-Philosophie! Hier liegt echtes Laien-Komödiantentum vor, die Rolle schien ihm auf den Leib geschrieben.

Regie führte Jens Larssen; im ersten Akt könnte vielleicht noch die Rede von Handlung ergänzt werden. Sonst hatte das Spiel Tempo und Niveau, soweit die Schwächen des Stückes nicht zu sehr zutage traten. Geschickt hatte Larssen die Spieler an den Klippen des Klamauks vorbeigeleitet. Eine sichere Souffleuse war Mathilde Tams - in den ersten Reihen zu stark vernehmbar. Die Technik und das Bühnenbild, eine waschechte Schusterwerkstatt, hatte Conrad Hansen besorgt. Das Haus war gut besetzt; Werner Jungjohann hatte die Zuschauer begrüßt und mit zwei plattdeutschen Döntjes „över eeten un drinken" das Publikum in die richtige, aufnahmebereite Stimmung versetzt. So war man denn mit Szenenapplaus nicht geizig, und Blumen sowie der lange Schlußbeifall waren der Lohn für viel Mühe.

Reimer Pohl

Schleswiger Navhrichten, 19.9.1978

 

 

Uwe Petersen begeistert in der "Traumrolle"

Schleswiger Speeldeel zeigte „Meister Anecker"

 

Schleswig. Jeder mit der Schauspielkunst Vertraute kennt den Begriff der „Traumrolle". So eine Paraderolle ist die des Matten, des Schuster-Altgesellen in der dreiaktigen Komödie „Meister Anecker" von August Lahn. Das Stück steht und fällt mit der Besetzung dieser Rolle. Wer erinnert sich in diesem Zusammenhang nicht an die Verkörperung dieses Matten durch Henry Vahl im Ohnsorg-Theater? Schleswig kann sich glücklich schätzen, unter seinen Mitbürgern einen „Holmer Jung" zu haben, der seit seiner Kindheit im Plattdeutschen zu Hause, seit 1966 mit der Schleswiger Speeldeel verwachsen, ausersehen war, unter der Regie von Jens Larssen diese seine Traumrolle zu verkörpern.

Und wie herrlich „kam Uwe Petersen an"!  Wie köstlich spielte er dieses Original von einem versoffenen und verfressenen Schustergesellen, voller Bauernschläue, der nicht gegen seine Natur konnte und bei dem Durst ein Schicksalsschlag und Essen die erste Bürgerpflicht war. Wie konnte er schludern, wenn er es auch als „Laster" ansprach und „Supen weer bi em een Geburtsfehler!"

In einer von Conrad Hansen meisterhaft nachgebildeten Schusterstube der Jahrhundertwende, in der nur noch die „Schusterkugel" fehlte, die man wohl heute nicht mehr auftreiben kann, agierte er neben seinem cholerischen Meister, Franz Anecker, dargestellt von Wolfgang Preuß, der eifersüchtig und dumm nie hinter die wahren Zusammenhänge zwischen dem Bürgermeister und seiner Schwägerin Elsbeth kam. Hätte er nur nicht immer so lächelnd gewirkt, hätte man ihm seine ehrliche Wut, der er mit dem Hammer viel Nachdruck verlieh, noch mehr geglaubt. Seine Frau Lene fand in Waltraut Ewers eine Verkörperung, vital, wirklichkeitsnah, und nicht auf den Kopf gefallen, eine forsche Handwerksfrau, die auch wagte, ihrem bullerigen Ehemann Paroli zu bieten.

Ihre kleine Schwester Elsbeth wurde von Monika Stengel sehr rabsch und clever dargestellt und man glaubte dem vom „höheren" Beruf herkommenden Bürgermeister Peter Balzeer, daß er sich in die kleine Kratzbürste verliebt hatte. Wir nehmen an, daß der Dorfgewaltige in seinen täglichen Beamtenpflichten etwas weniger lyrisch und sensibel auftritt. Mathilde Tams brauchte nicht viel zuzusagen, man hatte gut gelernt und die Dialoge gingen nahtlos ineinander.

Mit dem Inhalt dieser Kleinstadtkomödie hatte Jungjohann in seinen Begrüßungsworten schon vertraut gemacht. Er hatte auch hingewiesen auf eine Wiederholung der Aufführung „Als die Römer frech geworden" am 22. Oktober.,

Wo aber waren die vielen Fans der Schleswiger Speeldeel? Hatte der Orkan sie vom Kommen abgehalten? Sie haben eine ausgezeichnete Aufführung versäumt!

Elfriede Kollmann

Schleswig-Holsteinische Landeszeitung, 19.9.1978