Uns lütt Stadt

Auf der Suche nach dem Sinn des Lebens

Thornton Wilders „Our town“ auf Platt: „Speeldeel“ überzeugte mit ernstem Stück

 

Horst Seegebarth, Simon Clausen, Tanja Schmidt

Horst Seegebarth, Simon Clausen, Tanja Schmidt

 

Schleswig
Mehrfach hat die „Speeldeel“ in den zurückliegenden Jahren Stücke mit ernsthaften oder problemgeladenen Inhalten überzeugend vorgestellt. Unter der Leitung von
Horst Jacobs ist ihr das mit der Aufführung von „Uns lütt Stadt“ erneut trefflich gelungen: Im vollbesetzten Stadttheater gab es nach der Premiere Applaus für das von Thornton Wilder 1938 verfasste sensible Stück „Our  town“, das von Hans Sahl ins Hochdeutsche übertragen wurde und seine plattdeutsche Fassung durch Gerd Meier erhalten hatte.

Fredensand heißt die „kleine Stadt“ in der plattdeutschen Fassung, sie kann überall liegen, die Handlung ist zudem zeitlos. In drei Bildern werden im Stil der Zeit nach 1900 „de lütten Dinge op de Welt“ am Beispiel von Hannchen und Peter dargestellt bis zu Hannchens Kindstod. Thornton Wilder gibt der verstorbenen jungen Frau die Möglichkeit, einen Tag aus ihrem Leben nochmal mitzumachen, doch die Enttäuschung ist groß, man kann das Leben eben nicht zurückholen. Der traurig-wahre Schluss vermittelte bei den sich vorbildlich still verhaltenden Besuchern Ergriffenheit und Nachdenklichkeit.

Gut waren die Rollen der Eltern von Peter und Hannchen besetzt: Gerhard Hoppmann spielte fürsorglich Hannchens Vater, den Redakteur Schütt, Birte Nissen-Reimer liebevoll ihre Mutter. Dr. Hansen, Vater von Peter, wurde überzeugend von Kalli Walter dargestellt, seine Frau Erna von Gerda Jonas, die namentlich für ihren Auftritt in der letzten Szene im Totenreich Anerkennung verdient: „Do dat nich!“ rät sie, die auch verstorben ist, ihrer Schwiegertochter. Tanja Schmidt konnte in der Rolle von Hannchen eine starke Ausstrahlung mit stets sympathischem Augenkontakt entfalten, Simon Clausen steigerte sich als treu zugewandter Peter zunehmend. Die Spielleitung hatte Horst Seegebarth.

In weiteren Rollen spielten Kerstin Reimer und Markus Bielfeldt die Geschwister der Liebenden, außerdem wirkten Thomas Erichsen, Peter Philipp, Thore Petersen, Claus Schimmer und Maren Matthiesen mit — alle Darsteller meisterten ihre Aufgaben um so mehr, da man auf Kulissen verzichtet hatte: Mimik und Gestik waren gefordert.

Hinter der Handlung stand in jedem Moment die Suche nach dem Sinn des Lebens: „Begriept de Minschen endlich, wo schön un eenmolig dat Lewen is“, fragt Hannchen. Die Frage bleibt offen für alle.

 

Hansjürgen Buyken

Schleswiger Nachrichten, 12.1.2004

 

 

 

Diesen Brie hat uns der Kritiker, Herr Hansjürgen Buyken, geschrieben:

 

Hansjürgen Buyken

Schleswig, 11.1.2004

Liebe Speeldeel-Freunde,

gestern war die Premiere von „Uns lütt Stadt“, und ich bin immer noch beeindruckt von Ihren Leistungen, von der feinsinnigen Behandlung des Problemfeldes, gewiß ganz im Sinn des Autors - wenn dieser mit Platt vertraut gewesen wäre, hätte er Ihre Art der Überbringung auch gutgeheißen. Wichtig ist hier der „Transfer des Herzens“, und der ist Ihnen schon dadurch gelungen, dass Ihre Zuhörer nicht nur aufmerksam waren, sondern auch innerlich mitgingen - ich habe aus dem Zuschauerraum heraus gespürt, wie ergriffen und überaus nachdenklich viele reagierten. Und noch eine Beobachtung: in der Pause haben etliche Besucher (ich habe unauffällig „gelauscht“!) sich auch über die Problematik des Stückes unterhalten und nicht nur „getratscht“.

Nun habe ich meine Rezension abgeliefert und muß wie immer feststellen, dass ich längst nicht alle Eindrücke einbringen konnte. Diesmal fiel mir die Kürzung besonders schwer. Deshalb lasse ich einfach noch ein paar freundliche Gedanken in meinen PC hineingleiten und Ihnen zukommen.

Da ist zunächst die Herausforderung an Mimik, Gestik, Körpersprache - alles überzeugend: Zeitungsübergabe, Milchanlieferung, Kaffee-Eingießen u.a.m. Im übrigen ja auch eine Herausforderung an die Zuschauer, die über Augenkontakt an Zeitumstände und Gefühlswelten herangeführt wurden. Zum letzteren: Sie haben alle und besonders Horst Jacobs jene gefährliche Gefühlsduselei vermieden, die in solchen Präsentationen verborgen liegen. Jeder Moment, jedes Ereignis, ob normal oder außergewöhnlich, blieb stets an der Realität orientiert. Hier muß auch Horst Seegebarths Part noch einmal gewürdigt werden, der das Spiel in dem angedeuteten Sinn gelenkt hat. Und zudem hat der Spielleiter stets die Brücke zum Publikum geschlagen, das dadurch immer in die Abläufe gut eingebunden war.

Leider konnte ich den Nebenrollen in der Rezension aus Platzgründen nicht genügend gerecht werden. Jedoch muß ich feststellen, dass alle auf je ihre Weise beigetragen und überzeugt haben: Kerstin Reimer auch in wenigen Momenten schauspielerisches Talent entfaltend, Markus Bielfeldt mit gelungenem derben Kontrast zur feinsinnigen Schwester. Sven Höck, Peter Philipp und Thore Petersen mit ihren Mimik-Glanzleistungen, die einer erst mal nachmachen soll. Und Claus Schimmer, der schon bei wenigen Bewegungen, Redensarten und Blicken überzeugt (nicht nur in diesem Stück) . Glänzend sodann Ihre „Nawersch“ Maren Matthiesen, die die groteske Situation bei der Trauungsszene meisterhaft herübergebracht hat (sie kann im Vergleich mit hochdeutschen Inszenierungen glänzend mithalten), ähnliches gilt für die Friedhofsszene.


Nun gehen Sie mit Ihrer „Botschaft“ in „Uns Lütt Theoter“: dort können Sie sich atmosphärisch noch viel besser entfalten. Ich wünsche allen Beteiligten, auch denen hinter der Bühne, viel Freude im Miteinander und ein weiteres Hineinwachsen in die unschätzbaren Aussagen, die noch lange nachwirken.

 

Herzliche Grüße

Ihr Hansjürgen Buyken